Das Hauptargument für die Widerspruchslösung ist die wahrscheinliche Erhöhung des Organaufkommens. In den Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt, ist die Zahl der Organentnahmen bezogen auf die Zahl der Einwohner*innen überwiegend höher als in Ländern, in denen eine andere Regelung gilt. In allen Ländern mit einem überdurchschnittlich hohen Aufkommen an Organspenden gilt die Widerspruchslösung. Mehrere Länder in Europa haben in den letzten Jahren die Widerspruchslösung eingeführt, um dem Mangel an transplantierbaren Organen abzuhelfen, u. a. Wales und die Niederlande. Damit gilt die Widerspruchsregelung in mehr als 20 europäischen Ländern. In Deutschland ist eine Erhöhung des Organaufkommens in besonderer Weise vordringlich. Im europäischen Vergleich ist Deutschland in dieser Hinsicht das Schlusslicht.
Den 10,4 Organspenden pro Million Einwohner*innen in Deutschland stehen in Spanien 43,4, in Kroatien, 38,6, in Portugal 32,6 und in Belgien 31,6 gegenüber. Derselbe europäische Vergleich zeigt auch, dass in Deutschland das Verhältnis von Organspenden und Patient*innen auf der Warteliste besonders ungünstig ist. Von den ca. 10.000 Patient*innen, die in den Eurotransplant- Ländern Österreich, Belgien, Deutschland, Ungarn, Kroatien, den Niederlanden und Slowenien auf der Warteliste für eine Niere stehen, entfallen über 7.500 auf Deutschland. Dabei ist für die Zukunft mit einem noch weiter steigenden Bedarf an Transplantaten zu rechnen. Dies liegt einerseits an der zunehmenden Lebenserwartung, andererseits an der weiteren Zunahme an zu Organ- versagen führenden Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas.
Zumindest bei der Reinform der Widerspruchsregelung (ohne die Möglichkeit eines Widerspruchs durch die Angehörigen) entfällt das in unmittelbarer zeitlicher Nähe des Todes zu führende und für alle Beteiligten belastende Gespräch mit den Angehörigen über eine mögliche Organspende.
Bestimmte Eingriffe in den Körper nach eingetretenem Tod zugunsten wichtiger Gemeingüter gelten auch ohne Einwilligung als ethisch und rechtlich vertretbar. Ein Beispiel sind Obduktionen zur Klärung der Todesursache bei möglichem Fremdverschulden.
Das Gegenargument der unzureichenden Informiertheit der Bevölkerung über die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen die Organspende trifft nicht zu. Angesichts der Fülle von Informationen hat jede*r die realistische Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden und im Fall von Bedenken zu widersprechen, entweder indem ein negativer Organspendeausweis oder eine entsprechende Patientenverfügung ausfüllt wird. Auch eine entsprechende Eintragung in einem Online-Register oder (falls die Angehörigen befragt werden) eine entsprechende Mitteilung gegenüber den Angehörigen ist möglich.
Laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist die positive Einstellung zum Thema Organ- und Gewebespende in Deutschland mit 84 Prozent so hoch wie nie zuvor. (Allerdings besaßen 2018 nur 36 Prozent der über 16-Jährigen einen positiven Organspendeausweis.) Bei Personen, die weder in eine Organspende eingewilligt noch ihr widersprochen haben, besteht demnach eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie einer Organspende gegenüber positiv eingestellt sind.
Organspenden sind oft lebensrettend oder sie tragen zu einer erheblichen Steigerung der vormals verminderten Lebensqualität von Patient*innen bei.
Das Hauptargument für die Widerspruchslösung ist die wahrscheinliche Erhöhung des Organaufkommens, so die Philosophen Dieter Birnbacher (rechts), Markus Schrenk (Mitte) und Christoph Sapp im Gespräch mit Victoria Meinschäfer.